Dienstag, Oktober 09, 2007

Wet Dreams (Are Made Of This)

Siggi liebt Disko. Er liebt die flackernden Lichter, den Glamour, die schönen Frauen, die guten Drinks, die druckvollen Bässe. Er hängt gerne mit den coolen Jungs ab und macht die Nacht zum Tag. Gerne wäre er DJ oder besser noch Clubbesitzer geworden. Leider sieht er so scheiße aus, dass er noch nicht mal irgendwo reinkommt. Eines Tages beschloss er, seinen Keller zum ultimativen Tanztempel umzubauen. Siggi hatte einen feuchten Traum.

Jörn und ich haben Siggi kennengelernt, als wir am Wochenende auf einer Gastronomen-Hochzeit auflegten. Es war ihm tatsächlich gelungen, das Kneiperpärchen durch dauer-an-der-Theke-hocken und vollschwallen davon zu überzeugen, ihre Hochzeitsparty in seinem Kellerclub stattfinden zu lassen. Immerhin liegt der Raum mitten in der Altstadt.

Die Bude sah auch wider Erwarten gar nicht so übel aus. Mehrere Vorräume und dann ein ziemlich luftiger Bereich zum Tanzen. Siggi hatte ganze Arbeit geleistet - Studio 54 meets La-Bamba-Club meets Antalya-Nightlife.

Jörn skankte erstmal ein bißchen Probe.




Siggi wuselte aufgeregt um uns herum und zeigte uns unseren Arbeitsplatz. Was noch von weitem ganz passabel aussah, verlor mit jeden Schritt ungefähr 1500 Euro. Zwei untaugliche Decks, die Siggi anscheinend der Optik wegen dem Sperrmüll entrissen und dort platziert hatte, ein Mischpult eines Herstellers, den ich bislang nur von billigen Kamera-Vorsatzfiltern und Antennensteckern kannte und was von weitem nach Bose 901 aussah, entpuppte sich als Fernost-Fake. Alles war handwerklich prima eingebaut und verschraubt - was sich allerdings noch als ein großer Fehler herausstellen sollte.

Siggis Traum in kaltem Blau: 80er Jahre Disko-Explosion at its best!



Es war noch recht früh und es dudelte leise Hintergrundmusik aus Siggis Beständen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Siggi plötzlich mit den Worten „Total geiler Song!" an uns vorbeischoß und den Regler hochriss. Den wenigen Gästen fielen die Gläser aus den Händen und sie starrten uns entsetzt an. Nicht nur wegen der unvermittelten Lautstärke, sondern eher aus Befürchtung, das undefinierbare Geschrammel wäre der Einstieg in den Abend und unsere musikalische Ansage. 1,4 Sekunden war der Regler wieder unten und Jörn hatte Siggi verscheucht.

Nicht nur die Decks waren Dekoration, auch einer der beiden CD-Player verweigerte den Dienst. Siggi meinte, das würde der „schon mal machen", was an sich ja schon schlecht wäre. In unserem Fall funktionierte er aber zuverlässig – nicht. Auch der fein säuberlich verbaute No-name-Computer verweigerte die Annahme Jörns Festplatte. Siggi eilte beflissen zur Hilfe, tauchte ab in die Tiefen des Betriebssystems und deaktivierte als erstes und dauerhaft den Dienst, der die Maus und Tastatur betreibt. Dies war der Moment, in dem Jörn und ich erstmals einen langen amüsierten Blick tauschten und die Sache echt hoffnungslos lustig wurde.

Es half alles nichts, der Computer war erstmal ausser Gefecht und Club-Tycoon Siggi musste mit seiner Werkzeugkiste anrücken und das Mischpult wegschrauben, damit Jörn seinen Laptop anschließen konnte. Die Situation entspannte sich etwas, Siggi fasste neuen Mut und begann, mir das Lichtpult zu erklären. Das ging relativ schnell. „Siehst du hier die Schalterreihe? Die sind alle außer Funktion, nur der rechte ist aktiv. Den darfst du aber erst ganz spät anmachen. Weil Hammer-Bodeneffekt!" Ich hab ihn natürlich direkt angemacht und wir hatten wieder was zu lachen:



Siggi in Aktion: Jörn ahnte bereits Schlimmes.




Viel mehr war dann glücklicherweise auch nicht („die Nebelmaschine ist im Arsch, die hat immer so nach Kabelbrand gestunken"), ausser einer Diskokugel samt Spot, die mit einem Knebelschalter aktiviert wurde, mit dem sonst die Brennstäbe eines mittleren Kernkraftwerks rauf- und runter gefahren werden.

Die Party begann und es lief eigentlich ganz gut, bis irgendwann der Sound auf Kofferradio-Lautstärke zusammenfiel – ausgerechnet in dem Moment, wo wir sie alle auf der Tanzfläche hatten. Der aufgeregte und etwas frustierte Siggi rupfte hektisch eine Endstufe zwecks Kühlung heraus. Dabei sah ich erstmals, dass von den fünf cheffig übereinander gestackten Billo-Endstufen nur zwei funktionierten (die anderen waren... na? Richtig: Dekoration) und wir hatten Zwangspause, bis das Teil wieder ansprang. Das lustigste an der Sache war, als ich feststellen musste, dass sogar der Ventilator Kernschrott war und kaum Luft bewegen konnte. Da wurde es langsam echt bizarr komisch.

Siggi in Aktion, Teil 2. Jörns Befürchtungen wurden Realität.




Siggi wurde wegen meiner hämischen Bemerkungen immer saurer und schob mir die Schuld für den Ausfall in die Schuhe: „Hast Du etwa den Equalizer eingeschaltet?" „Klar, das hat sich ja grausam angehört." „Ich habe extra den Knopf abgenommen." „Siehste, und ich hab ihn gefunden."

Wir haben dann erstmal ein Alt geext. Es sollte nicht das einzige bleiben. Eigentlich waren wir Siggi sehr dankbar. Es war ein sehr spaßiger Abend, an dem die Zeit wegen der ganzen Showeinlagen wirklich schnell vorbei ging. Siggi sollte seine Passion verändern: Vom Clubbesitzer zum Alleinunterhalter. Da schlummert sein wirkliches Talent.

10 Comments:

Anonymous Anonym said...

Mal wieder eine ausgezeichnete Geschichte, die mich an diesem tristen Tag zum schmunzeln gebracht hat. Besonders gut gelungen ist auch die Foto-Dokumentation.:) Wäre gerne dabei gewesen.

3:32 PM  
Anonymous Anonym said...

Heilandsländle!!!
Steini, wirklich sehr schön geschrieben. Ich lach mich jetzt noch kapott.
Der Hammer an der Story ist allerdings, dass dieses Underground-Spektakel exaktomat so statt gefunden hat. Ich bewundere Dein Talent die Feinheiten des Erlebten in der richtigen Schublade abzulegen und bei Bedarf hervor zu holen. Hut Ab!!!
Könntest mich nicht noch öfter begleiten?
Du bist das Pflaster aller Filmrisse!!! M A R K T L Ü C K E !
Jetzt müssen wir wohl vorsichtig sein, dass uns Anstandsfrollein Anonymus nicht wieder unseren Stoffkonsum aufwärmt, die Arme... :-)

8:13 AM  
Anonymous Anonym said...

ich schließe mich biboy an: du hast die GABE steini! die hose musst du mir übrigens ersetzen.

10:14 AM  
Blogger Bob said...

Wunderbar. Ich kann es mir lebhaft vorstellen. Der gute Siggi. Früher unter dem Namen Gorgio Moroder die Welt bereist und jetzt das... Wer hätte das gedacht.

2:27 PM  
Blogger Der_grosse_Transzendentale_Steini said...

@kirmesbraut: Danke für's Lob. Aber da wärst du nicht gerne beigewesen, glaub mir!

@bidschi: Sei man bloß froh, dass ich hier nicht jeden Filmriß dokumentiere. Mit Chance hat Anonymus vom Kamillentee einen allergischen Schock gekriegt.

@morti: Wir sind halt böse. So böse.

@bob: Siggi ist Giorgio Maroder. ;-)

4:14 PM  
Anonymous Anonym said...

Alle is bester Ordnung! Haste das gelesen?:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,511010,00.html

1:28 PM  
Blogger zoee said...

jaja, immer auf die minderheiten! ihr seid ja bloß sauer, weil siggi seinen traum, seinen feuchten, wahr gemacht hat. WAHR! während ihr immer noch kein eigenes kassettendeck habt und euch das ekwipment vom siggi leihen müsst! so ist das nämlich.

das nächste mal komme ich mit und dann tröste ich den siggi vor euch und tanze mit ihm foxtrott, bis die omma schwitzt!

ihr bösen, bösen männer!

4:20 PM  
Anonymous Anonym said...

Dieses blöde Teil hier hat gerade meinen hochqualifizierten, Eure literarische Möchte-Gern-Veranstaltung-alles-in-den Schatten-stellenden Beitrag nicht veröffentlicht. Und dabei fing das gerade an, Spaß zu machen.

P.S. Was ist eigentlich eine "richtige Schublade"? Kann eine Schublade richtig sein? Gibt es eine Schublade, die richtig ist???

4:22 PM  
Anonymous Anonym said...

also, meine schubladen sind alle richtig. und ich hab ne menge davon! sobald ich jemanden kennenlerne geht die lade auf und schwupp isser drin. es gibt aber auch schubladenhopper, das sind mir die liebsten. aber nicht weitersagen!

5:46 PM  
Anonymous Anonym said...

@morticia: stimmt, Schubladenhopper sind eine ganz besondere, meistens äußerst interessante Spezies...womit sie gleich in der nächsten Schublade landen.;)

9:51 AM  

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