Montag, Juli 23, 2007

Idole der Jugend - Vol. II



Das nächste Idol meiner Jugend besteht aus Fleisch und Blut - und zwar verdammt viel Fleisch und reichlich Blut. Mother's Finest wird wohl jeder kennen und viele werden sich gähnend zurücklegen oder vielleicht gerade noch halbherzig den Refrain von "Baby Love" ansingen. Warum ausgerechnet eine Band wie Mother's Finest auf mich so einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, will ich gerne erklären.

1978 waren wir gerade 15 Jahre alt, vor zwei Jahren hatten wir unsere erste Band gegründet und Musik war – abgesehen vom Mofa-Frisieren – unsere größte Leidenschaft. Während andere im Fussballverein kickten, am Unterbacher See Segeln lernten oder einfach nur so abhangen, hockten wir in unseren Schleiflack-Jugendzimmern vor der Kompaktanlage, hörten Platten und Kassetten und analysierten dabei jeden Song bis ins kleinste Detail. Oder wir trafen uns im Gartenhäuschen der Eltern unseres Keyboarders und bastelten an unseren eigenen Stücken, während wir uns den Arsch abfroren oder wahlweise kaum Luft bekamen. Covern kam für uns nicht in Frage. Was hätten wir denn auch nachspielen sollen? Sweet und Slade waren lustig, aber es waren keine Vorbilder. An deren Musik hatten wir weniger Interesse als an der Attitüde und wir waren nicht gerade die Typen, die Glitzeroveralls und Plateaustiefel tragen konnten. Auf Beatles und Stones hatten wir überhaupt keinen Bock, Blues war schon damals was für dickbäuchige Opas und für die pschyedelische Bombastmusik von Pink Floyd, Emerson, Lake & Palmer oder Led Zeppelin, auf die wir ziemlich standen, fehlte uns... nun ja... schlicht und einfach das Know-How. Wir bewegten uns musikalisch gesehen sozusagen im luftleeren Raum.

Die erste Rockpalastnacht hatte uns viel Spaß gemacht - Rory Gallagher hatte mächtig Gas gegeben und der Anblick eines begeistertem Riesenpublikums kickte uns voll. Die zweite Rockpalastnacht stand an und wir bereiteten uns gründlich vor. Geld für eine Eintrittskarte hatten wir nicht, aber meine Eltern waren an dem Wochenende bei Verwandten, meine ältere Schwester mit ihrem Stecher auf Tour, ich hatte dementsprechend sturmfreie Bude und sämtliche Freunde wurden eingeladen. Das Problem der ersten Rocknacht - der dünne, quäkende Sound des Nordmende-Fernsehers - wurde dadurch gelöst, dass das Konzert live im Radio übertragen wurde. Ich schleppte also meine potente Wega-Kompaktanlage aus meiner Mansarde in das elterliche Wohnzimmer, die spießigen Orientteppiche wurden wegrollt und das ätzende Kacheldekor des Travertin-Couchtischs durch Chipsschüsseln, Hannen-Alt-Flaschen und Apfelkorn verdeckt. Das Aufglühen des magischen Auges der alten Glotze wurde auf einmal so spannend wie ein Raketenstart. Countdown.

Michael Chapman im Radio war eher langweilig, aber dank Apfelkorn herrschte unter dem Kronleuchter beste Laune. Gespannt warteten wir auf den ersten Fernseh-Act: Mother's Finest – eine Band, unter der wir uns bislang nichts vorstellen konnten. Doch als die schrille, schwarz-weiß-gemischte Truppe unter Joyce "Baby Jean" Kennedy mit "Dis go dis way, dis go dat way" die Bühne in einen brodelnden Hexenkessel verwandelten, schoss uns allen die Musik wie ein ordentlicher heißer Sniff ins Hirn und in die Eier, wir sprangen auf und bogen uns wie wild vor meinen selbstgebauten 3-Wege-Boxen mit der ausgeklügelten Bassrutsche. Play it loud.

Das war alles so anders. Detroit und Atlanta waren für uns damals noch so weit entfernt wie die Punk-Bewegung. Wir hörten zum erstenmal, dass ein Bass nicht nur zum wohltuenden Auffüllen der tiefen Frequenzen da ist, wir hörten fette Synthesizer und harte, funky Drumbeats. Und vor allem: Wir erlebten die schwitzende, heiße, dreckige Vereinigung von Sex und Musik. Bis dahin bestand Sex für uns aus den Wäscheseiten des Otto-Kataloges und Musik war androgyn und chemisch rein. The Sweet sangen "It's, it's a Ballroom Blitz", die blöden Beatles trällerten "Lady Madonna", Pink Floyd schwadronierten über gesellschaftskritische Themen wie Kapitalismus und Entfremdung und Led Zeppelin metapherten in ihrem LSD-Mikrokosmos über Frauen, die Treppen zum Himmel kauften. Alles war so unklar und verschwommen. Das merkte man auch unserer Musik an: unser bester Song trug den Titel "Candle light night." Hallo? Wir waren 15jährige Teenager. Zur Hölle, was für einen Scheiß sangen wir da?

Baby Jean trug einen hautengen Catsuit, hatte einen großartigen Arsch, hüpfende Titten, eine Hammer-Stimme und sie machte damit auch ziemlich klare Ansagen: "Oh baby love - Early in the mornin' - You come creepin' in my mind - Burnin' for your touch, oh baby love" und wer es trotz 2+ in der letzten Englisch-Klassenarbeit immer noch nicht kapiert hatte: "Baby, you know what I need – you know what I've got – I wanna make love to you." Mother's Finest sangen über Sex, sie sahen nach Sex aus und ihre Musik klang wie Sex.

Das war es, was wir vielleicht geahnt hatten, aber in unseren stundenlangen Analysen vor dem Plattenspieler nicht herausgefunden haben: Musik muss geil sein - das ist der Schlüssel.

Noch heute einscheiden meine Eier, ob ich das mag, was ich höre und nicht mein Hirn. Das hat mir Baby Jean beigebracht. Danke Joyce - du kleines geiles Stück.

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7 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hab noch zwei Vinylscheiben von denen, die auch wirklich allererste Sahne sind. Wegen der beiden Platten wollte ich mir dann '81 auch nicht den Auftritt in der Phillipshalle entgehen lassen – und wurde bitter enttäuscht. Mit der Musik auf den beiden LPs und der Band vom Rockpalast-Gig hatte das nicht mehr viel zu tun. Zu viel Heavy Metal, zu wenig Funk, zu viel Gitarren-Masturbation, zu wenig Soul, zu viel Posing, zu wenig Sex – es wurde das erste Konzert, das ich vorzeitig verlassen habe.

11:21 AM  
Anonymous Anonym said...

zu beginn der 80er bin ich auf ein festival bei bremen gepilgert um mothers finest zu sehen. danach wußte ich, dass coole musik live total scheisse klingen kann. der sound hatte nichts mit dem der platten zu tun und ich war echt bedient. aber baby love ist immer noch auf platte super!

1:11 PM  
Anonymous Anonym said...

münchen, circus krone, mothers finest als vorband! sehr kühl! ich weiss gar nicht mehr, wer danach gespielt hat, denn dann musste ich nach hause.

die alten rockpaläste werden ja gerade wiederholt. einfach mal wieder reingucken und sich langhaarig fühlen! ;)

4:48 PM  
Anonymous Anonym said...

Mother's Finest - sehr geile Combo. Plateausohlen hamse aber auch.
Rockpalast in der prä-digital-TV-5.1-Ton-Ära war Kult. Eben wegen des Aufwands mit Stereoanlage und Tonübertragung im Radio und so...

6:08 PM  
Anonymous Anonym said...

Steini...my 2 cents of thoughts: Mother's Finest...Outfit: Ne 1, Stimme Joyce: Ne 1, Sexappeal: Ne 1, die ganze Truppe: Ne 1...ich habe keine Ahnung was damals 81' in der Phillipshalle bei Jorge so schiefgelaufen ist...vielleicht hat er doch nur die Vorgruppe gesehen und wat verwechselt ...?...;-)), however, eines musst Du mir erklären:

Was genau meint: "Noch heute einscheiden meine Eier..."???...mmmh, ist dies die falsche Satzstellung ?...oder wie geht dat jetzt genau, einsch***en...*smile* ...& das hat Dir gezz echt die Baby Jean beigebracht?? Hut ab, einmal mehr, und wieder bin ich voll neidisch auf Deine puuupatären Erfahrungen!!! Du hast dem Rest der Mennschheit einfach wat voraus! Hasta pronto e besote! Totolino

11:15 PM  
Blogger creezy said...

Aber die Frontschnecke war schon 'nen Rassetier. Ich hoffe nur, mir bleibt erspart die Crew im Release 2007 mal sehen zu müssen. Weil, der blonde Oliver Geissen zieht doch jeden Scheintoten noch mal vor die Cam!

7:34 PM  
Blogger Jan Spengler said...

Steini, Danke für das Flashback beim Lesen eben!

Habe MF 83 oder so in Obrigheim gesehen, nach stundenlanger Mopedfahrt bei 0 Grad. Fast erfroren angekommen, irgendeine sehr schlechte deutsche Hardrock Band (ich komm noch drauf wer das war..), MF dann der absolute Hammer. Stellenweise Gesang ohne Mic, die kam auch so durch den Sound mit ihrer Wahnsinnsstimme, unglaublich. Das war erste Sahne!

Noch mehr Drive als bei Deinem "Baby Love" Video bei "Fire", auch auf Youtube:

http://www.youtube.com/watch?v=FMlA-IdLD-I&NR=1

10:38 PM  

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