Donnerstag, August 17, 2006

Ein Abend mit den Lieben.

Sie muss seinen verstohlen Blick auf die Armbanduhr bemerkt haben. „Laß ruhig, ich bin auch müde. Wollen wir gehen?" „Sorry, es war ein langer Tag... Die Rechnung, bitte!! Du bist selbstverständlich mein Gast." Sie verabschiedeten sich eillig auf dem Parkplatz. „Bis morgen, war ein schöner Abend" „Njaa, fand' ich auch. Komm gut heim."

Er stieg in seinen blassgrünen 72er Dogde Charger und ließ den Motor an. Was für eine unglaubliche Nervensäge, dachte er. Katharina und er hatten sich während eines Termins bei seinem größten Kunden kennengelernt. Den ganzen Abend hatte sie ihm langweilige Geschichten von ihren Ex-Typen und noch langweiligere Reiseberichte ihrer unzähligen Städtetouren erzählt. Als sie von dem Wellness-Urlaub in Sri Lanka anfangen wollte, hatte sie wohl endlich seinen genervten Blick bemerkt. Wenigstens wusste er jetzt über die personellen Zusammenhänge in ihrer Firma Bescheid, so ganz vergebens war der Abend also nicht gewesen. Das Auto war ihm eigentlich ein wenig peinlich, viel lieber wäre er in seinem Firmen-5er-BMW gefahren, aber die Mädels standen momentan eben auf diese Kisten und so hatten er und seine Freunde sich im Mai diese potenten Amischlitten zugelegt. Den restaurierten englischen Roadster, den er sich erst vor zwei Jahren zugelegt hatte, würde er wohl verkaufen müssen - völlig out, die Dinger.

Als er seine Wohnung betrat, bemerkte er, dass er immer noch hungrig war. Das Fisch-Carpacchio und das Mini-Portiönchen Seeteufel hatten gut geschmeckt, aber satt haben sie anscheinend nicht gemacht. Das Restaurant hatte ihm ein Freund empfohlen. Idiot. Er nahm sein Telefon und bestellte sich eine Portion knusprige Ente Hoi-Sin mit Lan-Zhon-Salat vom Chinataxi, während er sich vor den Fernseher fläzte und seine Moma-Slipper abstreifte. Er schaltete wahllos einen Sender ein und lehnte sich zurück. Fast augenblicklich nickte er ein.

Er schrak auf. Was ist das? Etwas weiches hatte sich vorsichtig um seine Schultern gelegt. Er traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Sein Herz raste. Irgendwie kam es ihm bekannt vor, der Geruch war so vertraut. „Na? Gefällt Dir das?" Er blinzelte vorsichtig und erspähte die Ärmel seiner handschuhweichen Lederjacke, die er sich vor 3 Monaten in Mailand gekauft hatte. Er hatte sie nie getragen, irgendwie passte sie nicht zu seinem neuen Image mit dem Musclecar und so. „Hast Du was gegen mich? Ich dachte, Du mochtest mich. Du hast zumindest ganz schön viel Geld für mich ausgegeben." Er wusste nicht, was er sagen sollte. Die Ärmel schlangen sich jetzt recht bedrohlich um seinen Hals. Er stand vorsichtig auf und ging langsam an dem Wohnzimmerregalen vorbei Er traute seinen Ohren nicht, als er die piepsigen Stimmen seiner Nikon-Kameras vernahm. „Ich bin so unzufrieden mit meinem Leben, weißt Du", sagte die D2X. „Seit ich auf diesen Idioten da reingefallen bin, habe ich das Gefühl, keine wirkliche Aufgabe mehr im Leben zu haben." „Ich weiß genau, was Du meinst", fiepste die D80. „Ich bin schon etwas länger hier und glaub mir - der bringts nicht, der Typ. Wenn ich mich noch an den langen sehnsüchtigen Blick von dem süßen Jungen mit den Wuschelhaaren im Fotoladen erinnere, den er mir hinterher geworfen hat, als mich dieser Trottel ungeschickt in die Tüte gestopft hat... meine kleine Schwester ist jetzt mit dem Jungen zusammen und die reisen zusammen um die Welt und erleben die tollsten Dinge. Er liebt sie wirklich, er kümmert sich um sie und sie ist überglücklich. Mein Gott, was wären wir für ein schönes Paar gewesen, aber ich wollte ja partout nicht von meinem Preis runtergehen, ich blöde Knipse. Kohle hat der Arsch ja."

Ihm lief es kalt den Rücken runter. Wenn die beiden wüssten, dass er sie seit Monaten mit einer sexy kleinen Casio hinterging. Diese großen Dinger sind ja doch irgendwie so kompliziert und brauchen soviel Zuwendung...

Ein ohrenbetäubender Lärm schrecke ihn aus seinen Gedanken und ließ die Lederjacke vor Schreck weich hinter sich auf das Parkett gleiten. Krachend flogen die metallenen CD-Schubladen nacheinander auf und die Unmengen der CDs flatterten durch die Wohnung und spiegelten gegenseitig das Licht der Artemide-Lampen wie tausende Stroboskoplichter. Zeitgleich purzelten die Bücher aus den Regalen und ließen ihre ungelesenen Seiten rauschend hin- und herblättern. Ihm wurde schwindelig. Eine besonders seltene CD setzte sich nah an sein rechtes Ohr. „Weißt Du überhaupt, was ich so draufhabe, Du Kretin??" brüllte sie ihm ins Ohr und drückte die rare Liveaufnahme von Willam De Vaughn in einem Club in Chelsea im Schnelldurchlauf in sein Trommelfell. „Du hast mir nicht ein einziges mal zugehört. Glaubst Du, ich bin so eine billige Buddha-Bar-Compilation, mit der Du ständig in Deinem Auto rumfummelst, Du Niete? Denkst Du, ich hab Euch nicht dabei gehört??" „Genau!!" schrie die in der Zimmerecke hübsch dekorierte Customshop-Fender-Telecaster in einem ziemlich verstimmten Ton und klirrte dabei mit ihren Saitenhaltern. „Nicht ein einziges mal bin ich ordentlich bespielt worden! Nichts kann er, der Versager!" „Du hast es ja noch gut", brummte das 17-Zoll-Apple-Powerbook. „Du wirst immer besser mit dem Alter, aber ich?"

Gerade holte er tief Luft, um etwas zu seiner Verteidigung sagen. Ich hab euch doch alle lieb, so etwas in der Art wollte er sagen. Ihr müsst mich doch verstehen, ich hab einfach keine Zeit, aber ihr habt es doch gut bei mir. Ein Dach über dem Kopf und alle Leute bewundern euch.

Dazu kam er nicht mehr. In der Küche traf ihn ein harter Schlag am Hinterkopf und er ging wie ein Stein zu Boden. Unter Schmerzen drehte seinen Kopf, um zu sehen, wer den feigen Treffer gelandet hatte - das Squash-Racket oder eins von den Eisen aus dem Golfbag. Genau konnte er es nicht erkennen, aber wahrscheinlich war es das verdammte Racket – das Preisschild baumelte noch leicht hin und her.

Er schwor Rache und hätte den Schläger kurz- und kleingeprügelt, aber es war zu spät. Das letzte, was er hörte, war das zischende Fauchen der noch jungfräulichen Gasdüsen seines 6-Flammen-Smeg-Gasherdes und das Klingeln von Hue Wong, dem Chinataxi-Boten, das das hochentzündliche Gasgemisch zur Explosion brachte. Nein, nicht ganz das letzte: Als er aus dem Fenster auf die Straße geschleudert wurde, vernahm er noch entfernt das empörte, blökende Hupen eines dunkelgrünen Morgan Plus8.

5 Comments:

Blogger mq said...

Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

7:08 PM  
Blogger mq said...

Die Dinge besitzen die Portion Seele, die man ihnen in seiner Einbildung schenkt, denn es sind nicht die Seelen der Dinge, es sind Stücke der eigenen Seele. Spannende Umsetzung eines interessanten Themas.

7:09 PM  
Blogger Fräulein Wunder said...

erinnert mich irgendwie an Bret Easton Ellis, gutes Ding!

10:20 AM  
Blogger Der_grosse_Transzendentale_Steini said...

@mq: Ganz richtig – und je mehr Dinge, desto brüchiger wird die eigene Seele.

@Frl. Wunder: Vielen Dank. Da müsste ich aber noch viel mehr Sex und Gewalt reinbringen.

12:44 AM  
Blogger Kühles Blondes said...

cool
direkte assoziation - guckstu hier:

http://www.funny-van-dannen.de/lied/club/05-1000.pdf

11:16 AM  

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