Herrn Holzhausens Erbe.
Manchmal, wenn ich ein Handtuch zu lange benutzt oder die Wäsche zwei Tage lang in der Trommel gelassen habe, fühle ich mich heute noch an ihn erinnert. Ich sehe schemenhaft seine Umrisse in den wabernden Wolken aus Fäulnisbakterien und gärenden Enzymen. Herr Holzhausen war unser Musiklehrer in der Oberstufe. Er sah aus, wie er roch. Beige-braune Klamotten aus kratzigen Wollfasern, Leichtlaufschuhe, hohe Stirn an einem Kopf, geformt wie ein Kinder-Pinguino. Er war ein schweigsamer, introvertierter Mann mit einer derart saft- und kraftlosen Stimme, so dass man ihn schon nicht mehr verstand, wenn im Sommer die Klassenfenster zum Schulhof hin geöffnet war und draußen mehr als eine Amsel zwischerte. Alles in allem also ein recht harmloser Vertreter des Lehrerkollegiums, dessen tödlichste Waffe uns gegenüber das Analysieren von Bach-Fugen und nie enden wollende Diskussionen und Hörbeispiele quälender Zwölftonmusik war. Karl-Heinz Stockhausen war sein Alter Ego und Idol in Personalunion.
Es muss so um diese Jahreszeit in 1980 gewesen sein. Ich schob gerade einen schweren Hals auf Holzhausen. Zum einen hatte er mich und ein paar Jungs beim Direktor angeschissen, weil wir nach einer Doppel-Freistunde besoffen im Musikunterricht aufgetaucht waren. Die Situation wurde aber easy geklärt - wir hatten uns abgesprochen, dass wir jeder nur ein Glas Sekt getrunken hatten, der wohl schlecht gewesen sein musste. Das war für die okay. Wie dämlich sind Lehrer eigentlich? Zum anderen mussten wir mal wieder aktuelle Lieblingsmusik in die Stunde bringen und ich Vollidiot schleppe eine LP der Marshall-Tucker-Band an, weil ich unerklärlicherweise in einem der ätzenden primitiven Bluesrockstücke irgendetwas geniales erkannt hatte. Beim Vorspielen realisierte ich allerdings schnell meinen fatalen Irrrtum und mir wurde heiß und kalt. Ausgerechnet ich, der Gitarrist und Sänger der Schulband. Um die Sache noch nach unten hin zu toppen, zog so ein mieser kleiner Wicht (einer von den Flaschen, die in der großen Pause immer Schach und Doppelkopf spielten) die Pink Floyd "Relics" aus der Schultasche und erntete Begeisterungsstürme. Scheiße, die hatte ich auch morgens in der Hand. Erschien mir aber zu opportunistisch. Fehler.
Wie dem auch sei. Als wir an diesem schönen Maimorgen den Musikraum betraten, dachten wir, wir hätten irrtümlich den Physiksaal betreten. Holzhausen steckte kopfüber, schwitzend und vor sich müffelnd, in einem Wust von Kabeln, Steckern und summenden Oszilloscopen. Er sah unsere fragenden Blicke und winkte uns hektisch auf unsere Plätze. Schweigsame 15 Minuten später tauchte er aus dem Gewirr auf und präsentierte uns den ersten Synthesizer, den wir jemals gesehen und von dem wir auch nur eine grobe Vorstellung hatten. Wie es seine Art war, gab es erstmal eine Stunde lang theoretische Erklärungen der synthetischen Tonerzeugung. Oszillatoren, Kristalle, Wellenformen, Modulation, Attack-Raten, VCO-/VCF-Controls und Kuhschwanzfilter. In der zweiten Stunde allerdings gab er uns die Offenbarung. Er drehte die Schul-PA auf Anschlag, drehte wild an den Reglern, pitchte, modulierte und filterte wie ein tollwütiger Fuchs und was uns da an hammergeilen Klängen in den Ohren schwirrte, zog uns allen die Schuhe aus. Nie zuvor hatten wir so etwas geiles gehört.
Ein paar grandiose Wochen lang durften wir uns mit der göttlichen Apparatur beschäftigen, bis Herr Holzhausen meinte, wieder vom Platz 1 in den Pädagogen-Charts absteigen zu müssen und uns ein paar Runden Schumann und Tchaikowsky reinwürgte. Das Zauberwort "Moog" blieb aber fest in unseren Köpfen haften.
Warum erzähle ich das eigentlich? Ach ja. Gestern spielte "The Whitest Boy Alive" im Zakk und wir sind mit einer Horde Leuten dort aufgeschlagen. Die aktuelle CD der Jungs gehört zu meinen Lieblingssilberlingen, allerdings hatte ich eher eine ruhige Vorstellung erwartet. Doch weit gefehlt. Nach einem erwartungsgemäß smoothen Auftakt mutierte der Gig zur bunten 80er Jahre Disco-Explosion. Der Keyborder der Band, ein absoluter Billigporno-Look-a-like mit Seitenscheitel und Schnörres, funkte mit seinem uralten Crumar-Analogsynthie das Publikum hoch in die Luft. War das geil. Fette Sounds, super funky rhythms und erdiger Groove. Scheiß auf Midi, Sequenzer und Expanderracks - echte Handarbeit war angesagt. Der Saal kochte dann richtig, als Erlend Øye, ehemaliges Mitglied der "Kings of Convinience" das Mikro dem Tastenmann übergab und dieser den Gig auch noch in bester Motown-Manier gesanglich toppte. Isaac Hayes hätte es kaum besser machen können. Ein wahrer Funkbrother. Ganz großer Sport.
Leider war das Set viel zu schnell vorbei und die Jungs enterten persönlich den Merchandising-Stand. Wie nett - so was hab ich auch noch nie erlebt.
Günstigerweise war es noch vor Mitternacht und der liebe Herr Riese hatte in seiner Wohnung noch die ein oder andere Hülse Schampus kaltgestellt und mein neues Lebensjahr begann so, wie ich es mir wünsche: mit guter Musik, wunderbaren Menschen und kalten Getränken. Prost, Herr Holzhausen. Danke für die fortschrittliche Unterrichtsgestaltung und möge der muffige Kleidermock mit ihnen sein.

Es muss so um diese Jahreszeit in 1980 gewesen sein. Ich schob gerade einen schweren Hals auf Holzhausen. Zum einen hatte er mich und ein paar Jungs beim Direktor angeschissen, weil wir nach einer Doppel-Freistunde besoffen im Musikunterricht aufgetaucht waren. Die Situation wurde aber easy geklärt - wir hatten uns abgesprochen, dass wir jeder nur ein Glas Sekt getrunken hatten, der wohl schlecht gewesen sein musste. Das war für die okay. Wie dämlich sind Lehrer eigentlich? Zum anderen mussten wir mal wieder aktuelle Lieblingsmusik in die Stunde bringen und ich Vollidiot schleppe eine LP der Marshall-Tucker-Band an, weil ich unerklärlicherweise in einem der ätzenden primitiven Bluesrockstücke irgendetwas geniales erkannt hatte. Beim Vorspielen realisierte ich allerdings schnell meinen fatalen Irrrtum und mir wurde heiß und kalt. Ausgerechnet ich, der Gitarrist und Sänger der Schulband. Um die Sache noch nach unten hin zu toppen, zog so ein mieser kleiner Wicht (einer von den Flaschen, die in der großen Pause immer Schach und Doppelkopf spielten) die Pink Floyd "Relics" aus der Schultasche und erntete Begeisterungsstürme. Scheiße, die hatte ich auch morgens in der Hand. Erschien mir aber zu opportunistisch. Fehler.
Wie dem auch sei. Als wir an diesem schönen Maimorgen den Musikraum betraten, dachten wir, wir hätten irrtümlich den Physiksaal betreten. Holzhausen steckte kopfüber, schwitzend und vor sich müffelnd, in einem Wust von Kabeln, Steckern und summenden Oszilloscopen. Er sah unsere fragenden Blicke und winkte uns hektisch auf unsere Plätze. Schweigsame 15 Minuten später tauchte er aus dem Gewirr auf und präsentierte uns den ersten Synthesizer, den wir jemals gesehen und von dem wir auch nur eine grobe Vorstellung hatten. Wie es seine Art war, gab es erstmal eine Stunde lang theoretische Erklärungen der synthetischen Tonerzeugung. Oszillatoren, Kristalle, Wellenformen, Modulation, Attack-Raten, VCO-/VCF-Controls und Kuhschwanzfilter. In der zweiten Stunde allerdings gab er uns die Offenbarung. Er drehte die Schul-PA auf Anschlag, drehte wild an den Reglern, pitchte, modulierte und filterte wie ein tollwütiger Fuchs und was uns da an hammergeilen Klängen in den Ohren schwirrte, zog uns allen die Schuhe aus. Nie zuvor hatten wir so etwas geiles gehört.
Ein paar grandiose Wochen lang durften wir uns mit der göttlichen Apparatur beschäftigen, bis Herr Holzhausen meinte, wieder vom Platz 1 in den Pädagogen-Charts absteigen zu müssen und uns ein paar Runden Schumann und Tchaikowsky reinwürgte. Das Zauberwort "Moog" blieb aber fest in unseren Köpfen haften.
Warum erzähle ich das eigentlich? Ach ja. Gestern spielte "The Whitest Boy Alive" im Zakk und wir sind mit einer Horde Leuten dort aufgeschlagen. Die aktuelle CD der Jungs gehört zu meinen Lieblingssilberlingen, allerdings hatte ich eher eine ruhige Vorstellung erwartet. Doch weit gefehlt. Nach einem erwartungsgemäß smoothen Auftakt mutierte der Gig zur bunten 80er Jahre Disco-Explosion. Der Keyborder der Band, ein absoluter Billigporno-Look-a-like mit Seitenscheitel und Schnörres, funkte mit seinem uralten Crumar-Analogsynthie das Publikum hoch in die Luft. War das geil. Fette Sounds, super funky rhythms und erdiger Groove. Scheiß auf Midi, Sequenzer und Expanderracks - echte Handarbeit war angesagt. Der Saal kochte dann richtig, als Erlend Øye, ehemaliges Mitglied der "Kings of Convinience" das Mikro dem Tastenmann übergab und dieser den Gig auch noch in bester Motown-Manier gesanglich toppte. Isaac Hayes hätte es kaum besser machen können. Ein wahrer Funkbrother. Ganz großer Sport.
Leider war das Set viel zu schnell vorbei und die Jungs enterten persönlich den Merchandising-Stand. Wie nett - so was hab ich auch noch nie erlebt.
Günstigerweise war es noch vor Mitternacht und der liebe Herr Riese hatte in seiner Wohnung noch die ein oder andere Hülse Schampus kaltgestellt und mein neues Lebensjahr begann so, wie ich es mir wünsche: mit guter Musik, wunderbaren Menschen und kalten Getränken. Prost, Herr Holzhausen. Danke für die fortschrittliche Unterrichtsgestaltung und möge der muffige Kleidermock mit ihnen sein.


11 Comments:
mensch steini, meine herzlichsten! so ein zufall, gestern musste ich, nach deinem letzten beitrag, eine halbe pulle grappa zu mir nehmen um zu vergessen. die ging ja wohl auf deine haube! alles gute ; )
" wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst... "
mannmannmann, potter.
wenn deine haltung zum thema nachwuchs bei euch in der familie liegen würde, müsste ich mir jetzt wenigstens nicht diese quälenden gedanken um ein adäquates geschenk machen... ;-)
freu mich aufs we!!!!!
sehr herzliche verspätete geburtstagsgrüsse. grappa werde ich mir heute nicht geben, aber ich denke mal, ein fetziger grüner tee tut es auch? :)
*schmatz*
"The whitest boy alive" - yeah, die hab ich letztes Jahr in Graz gesehen, in der Postgarage. War ein geniales Konzert, natürlich kannte ich die Jungs vorher nicht...
Gratuliere zum Burzeltag!
auch von mir alles gute für das neue lebensjahr!
Sehr unheimlich (hier die Hookline aus "Twilight Zone" einspielen). Diese Häufung von Gemeinsamkeiten erreicht ein erschreckendes Niveau:
1. Auch mein Musiklehrer hieß Holzhausen (MP-Gymnasium)
2. Mein Spitzname war bis vor wenigen Jahren (bin jetzt Mitte 30) "Steini"
3. Ich komme aus Düsseldorf (Geburt, Schule, Studium)
4. Ich arbeite im Medienbereich
5. Sprache ist da, um sie zu rocken
6. Hassliebe zu Köln (wo ich seit Dezember wohne); jetzt nicht so überraschend für einen Düsseldorfer
7. Ähnliche karnevalistische Erfahrungen (noch mal nicht so überraschend)
8. Dann und wann Platten- (okay: CD-)Aufleger
Ich wurde schon gefragt, ob das Blog von mir ist. Zwischendurch war ich mir da selbst nicht mehr ganz sicher.
heeeyyy steini - da bahnt sich was an, ich spür das irgendwie! ; )
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
NEIN, ich bin zu spät?
dafür aber ein dreifach hoch auf das geburtstagskind!!
ich hole auf der stelle einen oldesloher doppelkorn aus dem tiefkühler und trinke gepflegt auf einen meiner lieblingsschreiberlinge!
porst
Vielen Dank für die Blumen, Frau Echse (erröt). Aber dass Sie ausgerecht an meinem Ehrentag ihren Blog aufgesteckt haben, war kein sehr schönes Geschenk... schnief.
@all: Danke, Danke, Danke... sehr nett.
@Ex-Steini: Ööh, heißt deine Mutter zufällig Daniela? :-) Max-Planck-Gymnasium stimmt. Lass uns doch mal einen heben gehen, muss ja nicht in Köln sein.
Kommentar veröffentlichen
<< Home