Mittwoch, November 08, 2006

Vorzimmer zur Hölle.

Gestern war ich in einer Spezialklinik wegen meiner abfaulenden athrophierenden Pfote. Wartezimmer sind ja oft ein Ort der Ruhe und Besinnung, wo man gemütlich sämtliche Illustrierten durchlesen kann, bis man mitten im spannendsten Artikel aufgerufen wird. Meist sitzen die halbtoten Wracks Patienten geduldig und still wie Lämmchen vor der Schlachtbank, was ich sehr liebe. In dieser Grabesstille ist mein Lieblingsgag, den Zeitschriftentisch zu durchwühlen und dann lautstark "Wer hat denn den Playboy?" in die Runde zu brüllen. Das ist sooo geil - alle senken verschämt den Kopf fast bis auf die Knie und keine Sau lacht.

Diesmal war leider alles anders. Natürlich hab ich mich aus Angst vor irgendwelchen bösartigen Bakterien so hingesetzt, dass ich zur einen Seite den Tisch mit den Getränken und zur anderen drei freie Plätze hatte. Schräg gegenüber zwei ältere Frauen. Die eine sah furchtbar müde und nach Schilddrüsenunterfunktion aus, und hatte sich schon so auf die Stuhlkante gesetzt, dass sie die andere Frau im 120-Grad-Winkel volltexten konnte. Den monotonen Redeschwall hatte ich schon von draußen gehört. Ihr Opfer saß völlig apathisch da, während die verbale Angreiferin aussah, als hätte sie eine Batterie im Unterkiefer.

Während ich verzweifelt versuchte, die störende Frequenz auszufiltern, ging die Tür auf und eine Kleinfamilie betrat den Raum. Mama klein und dick, in Leggings und Bomberjacke - Klamotten, die sie aussehen ließen wie ein Kastanienmännchen, Papa groß und gutaussehend, mit Migrationshintergrund und einem deutschen Wortschatz wie das Speisekarten-Spanisch eines Eifler Kegelbruders. Die Sprachbarriere könnte allerdings das Geheimnis dieser funktionierenden Beziehung sein. Tochter hyperaktiv, ADS und hasendumm. Dieses Trio Infernale setzte sich natürlich direkt neben mich. Die fetten Schenkel der Kastanienfrau quollen in meine Aura und das Töchterchen versuchte ständig erfolglos, den kurzen und wenig Halt bietenden Schoß der Mama zu erklimmen, wobei sie mich fortwährend mit ihren Schuhen an Knie und Schienbein traf.

Leider hatte ich bei der Platzwahl übersehen, dass sich in der unteren Etage des Getränketischchens die Malstifte befanden. Nachdem die Kleine endlich eingesehen hatte, dass das Besteigen des mütterlichen Speckberges ein hoffnungsloses Unterfangen war, wurden die Filzer gequält. Ich voll dazwischen. Die Kleine war so dämlich, dass sie die Stifte mit der Spitze nach oben hielt. Was dann folgte, war ein gebetsmühlenartiger Dialog, der ohne weiteres in den Folterzellen des Abu-Greibh erfunden worden sein könnte. "Mama, Stift kaputt!" "Nimm einen anderen, Schätzchen! Gülle wulle öckskemög!" (sie erzog ihre Tochter zweisprachig). Die Nummer zogen die beiden durch, bis der riesige Stiftköcher durchprobiert war und ich die Kleine anzischte: "Falschrum! Du hältst sie falschrum! Halt sie andersrum! Himmel noch mal!" Mama guckte mich irritiert an (das war ihr nicht aufgefallen) und Papa nutzte die Gelegenheit, seiner Liebsten auf die Titten zu schielen.

Der wabernde Klangteppich der faselnden Alten, der die ganze Zeit die Szenerie untermalt hatte, brach urplötzlich ab. Die Oma stoppte die verbale Spermatisierung des Wartezimmers, um zum Getränketisch zu wanken und sich ein Glas Wasser einzuschenken. Nachdem sie das Wasser geräuschvoll in sich reingeschüttet hatte, sagte sie tatsächlich zu ihrem paralysierten Opfer: "Ich weiß gar nicht, was das ist. Mein Hals brennt, als hätte ich Juckpulver geschluckt." Ich hatte eh schon durchgeladen. "Seit ich hier sitze, labern sie ohne Luft zu holen. Und da wundern sie sich, wenn sie einen trockenen Hals haben?" Vernichtender Blick der Oma und Abgang auf ihren Platz, um sich mit gedämpfter Stimme weiter an der anderen Frau auszulassen, die mich jetzt hilfesuchend anguckte.

Wieder ging die Tür auf und der absolute Hammer in Form eines schicken, in dunkelblau gekleideten Pärchens schlug in dem Raum ein. Unverkennbar zwei Pharmareferenten, die sich zweifellos sämtliche Highlights ihres Sortiments selber vorher reingepfiffen haben. Die beiden zogen eine Show ab, als ob sie gerade die Bühne der Mailänder Scala betreten hätten. Eloquente Dialoge in einer Lautstärke, die locker ausgereicht hätte, wenn sie 50 Meter auseinander stehen würden, gekünsteltes Gelächter allenthalben und beidseitig. Er holte ihr einen Kaffee und führte dabei eine beschissen übertriebene Dienstbotennummer auf wie im Ohnsorg-Theater. Es wurde lautstark über die eigenen tollen persönlichen Skills gefaselt, über die Ahnungslosigkeit der verehrten Kundschaft und sich gegenseitig schleimig der Bauch gepinselt. ALLE im Raum sollten also erfahren, was für ätzende Arschmaden coole Checker da im edlen Dreiteiler, Hosenanzug und Schick-Schick-Tüchlein rumturnten.

Mittlerweile war ich derart genervt, weil ich nicht in Ruhe lesen konnte und war außerdem nervös wegen meiner bevorstehenden Untersuchung, dass ich ganz kurz davor war, die beiden als elende Koksnasen zu beschimpfen und einen fetten Streit vom Zaun zu brechen. Leider zum Glück wurde ich endlich aufgerufen. Oh Mann, warum sind bloß die Zeiten des lieben Familiendoktors vorbei, der mit seinem Köfferchen Hausbesuche macht. Eigentlich wollte ich ja auch Arzt werden, aber mittlerweile bin ich ganz froh, dass mich mein miserabler Abischnitt daran gehindert hat. Ich hätte meine Patienten wahrscheinlich alle vergrault.

9 Comments:

Blogger Singamoebe said...

Mir fällt jetzt wirklich nicht eloquentes ein...eigentlich nur *brüll*
Schöne Geschichte....mal wieder sehr bildlich geschildert...ich mach mich nass

12:52 PM  
Blogger Bob said...

top, alda... klingt vertraut und weckt Erinnerungen.

12:51 AM  
Anonymous Anonym said...

Realsatire vom Feinsten. Leider mehr Real als Satire. Wartezimmer SIND der erste Kreis der Hölle.

8:54 AM  
Anonymous Anonym said...

muharrarrrarrr, sehr klasse geschrieben... und so zum kotzen WAHR !!
großartig! ... und danke das du nicht arzt geworden bist!!

5:15 PM  
Anonymous Anonym said...

PKV und nur noch zu Ärzten und Kliniken mit separatem Wartezimmer, da liegen bestimmt auch 2 Playboys.

7:05 PM  
Anonymous Anonym said...

PKV, die Polnische Kranken-Versicherung??? Kenne aus der Ecke eigentlich nur E55, da liegen ja auch Playboys und -girl rum.

10:54 PM  
Blogger Kühles Blondes said...

es lohnt sich, zu zweit zu gehen und dann ein fröhliches ratespiel abzuziehen, aus welchem grund die anderen wohl da sind.
beim urologen sitzen die leute immer vorne auf der stuhlkante und bei den haut- und dingsbumskranken bleiben die meisten eh gleich stehen.

11:18 AM  
Anonymous Anonym said...

was machst du denn beim haut- und dingsbumsarzt?

11:30 AM  
Anonymous Anonym said...

Göttlich...

7:41 PM  

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